Story: Der Affe, der Züge lenkte – Eine wahre Geschichte
Shownotes
Eine elegante Dame sieht ihn zuerst und kann es kaum glauben: Ein Pavian bedient die Weichen einer südafrikanischen Eisenbahn! Doch hinter dieser unglaublichen Szene steckt eine berührende und wahre Geschichte – über Not, Erfindungsgeist und eine Freundschaft, die über jede Artengrenze hinausgeht.
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Südafrika 1881. Staub wirbelt auf, als ein Zug in den kleinen Bahnhof Uitenhach einrollt. Im Stellwerk herrscht hektische Betriebsamkeit, Hebel werden umgelegt, Signale gestellt. Eine Frau in feiner Reisebekleidung lehnt sich aus dem Fenster ihres Erste-Klasse-Abteils. Ihr Blick wandert zum Stellwerk und plötzlich erstarrt sie. Ihre Augen weiten sich ungläubig. Sie blinzelt, schüttelt den Kopf, aber das Bild bleibt. Dort, inmitten der komplexen Maschinerie aus Hebeln und Schaltern, arbeitet kein Mensch, sondern ein Pavia. Die Frau reibt sich die Augen. Sie muss halluzinieren. Die sengende afrikanische Hitze, die lange Reise. Doch als sie wieder hinsieht, ist der Pavian immer noch da. Geschickt bedient er die Signalhebel, dreht sich um, blickt prüfend zum Einfahrenden zurück. Frau ist empört. Ein Affe, der die Arbeit eines Menschen macht, das kann es einfach nicht geben. Sie wird sich bei der Eisenbahngesellschaft beschweren und ahnt dabei nicht, was für eine unglaubliche Geschichte ihre Meldung ans Licht bringen wird. Es ist die Geschichte von Jack, dem einzigen Pavian, der je offiziell bei einer Eisenbahngesellschaft angestellt war. Und gleichzeitig ist es auch die Geschichte einer außergewöhnlichen Freundschaft. Willkommen bei einer neuen Folge des Galileo Podcasts. Mein Name ist Peter Kreiner und ich möchte euch heute eine ungewöhnliche Geschichte aus dem 19. Jahrhundert erzählen. Eine Geschichte, die zeigt, dass es sich lohnt, manchmal ungewöhnliche Wege einzuschlagen. Sie handelt vom Eisenbahnangestellten James White, der auch Jumper genannt wurde, und Jack, einem Pavian. Und so beginnt alles.
Wir befinden uns im Jahr 1877 in Südafrika. James White arbeitet als Schaffner bei der Staatlichen Eisenbahngesellschaft. Als er bei einem unglücklichen Arbeitsunfall unter einen Zug gerät, müssen ihm beide Beine amputiert werden. Doch White lässt sich nicht unterkriegen. Er schnitzt sich zwei Beinprothesen und bekommt einen neuen Job als Streckenwärter. Doch die beiden Prothesen machen die Arbeit für White fast unmöglich. Er braucht unbedingt Hilfe, sonst verliert er seinen Job. Auf einem Markt trifft White kurz darauf auf Jack, einen Pavian. White traut seinen Augen kaum, denn das Tier steuert für einen ansässigen Bauern selbstständig einen Ochsenkarren. Ein Assistent wie Jack, so denkt sich White, könnte ihm bei der Arbeit unter die Arme greifen. Also zögert der Streckenwärter keine Sekunde und kauft den Affen seinem Vorbesitzer ab. Ab diesem Zeitpunkt sorgt White dafür, dass es Jack an nichts mangelt und Jack unterstützt White, wo es nur geht. Das intelligente Tier und der Bahnangestellte werden Arbeitskollegen und beste Freunde. Als White merkt, wie sehr Jack die Arbeit liegt, trainiert er ihn dazu, die Hebel der Signalanlage eigenständig zu bedienen. Je nachdem, wie häufig ein Zug pfeift, signalisiert das dem Affen, welche Weiche umgelegt werden muss. Jack ist ein absolutes Naturtalent als Streckenwärter und er wird zu einer Attraktion für die Bahnreisende.
An dieser Stelle stoppen wir die Geschichte. Denn da sind viele Fragen offen. Um die zu klären, hat sich mein Kollege Ferdi Deja mit Prof. Dr. Julia Fischer unterhalten. Sie erforscht, was Tiere wissen. Sie beschäftigt sich also mit der Frage, was ist gelernt und was ist angeborenes Verhalten.
Also ich fand die Geschichte total abgefahren und konnte gar nicht glauben, dass das so funktionieren kann und wusste auch nicht, ich wusste nicht, dass es dieses Zusammenleben geben kann. Die Geschichte ist ja schon besonders. Warum ist sie so besonders oder außergewöhnlich?
Also das Außergewöhnliche war, dass der Pavian mit diesem Signalwärter so eine enge Beziehung hatte und dass er sich hat von dem trainieren lassen. Und ich kenne den genauen Hintergrund nicht, wie alt der war. Ich könnte mir vorstellen, dass er vielleicht noch kein richtig ausgewachsenes Männchen war, als er bei dem sozusagen eingezogen ist. Ja.
Also laut meines Wissens hat er den von einem Bauern gekauft. Der hat gesehen, dass der einen Ochsenkarren geleitet hat, also den sozusagen geführt hat. Und darüber hat er ausgemacht, dass der ziemlich intelligent sein muss und hat dann versucht, den abzukaufen, hat den auch abkaufen können und hat dann den erstmal als Haushaltshilfe sozusagen eingestellt oder mit dem zusammen gewohnt.
Ja, also dann hatte der auf alle Fälle eine Geschichte, dass er schon mit Menschen groß geworden ist und von Menschen von früh an trainiert worden ist. Und die sind schon schwierig. Und es gibt ja auch die Geschichte von Pavianen. Also vor allem ein Weibchen ist sehr berühmt geworden in der Literatur. Da gibt es auch eine richtige Forschungsarbeit zu. Die wurde als Ziegenhüterin eingesetzt. Und der konnte also auch beigebracht werden, dass sie morgens mit den Ziegen also auf den Ziegen reiten, auf der großen Ziege reiten, irgendwie mit rausgeht und dann guckt. Und zum Beispiel, wenn dann irgendwie mal eine kleine Ziege verloren, ein Ziegenbaby verloren gegangen ist, dann ist sie da hingegangen und hat das wieder eingesammelt und zur Mutter gebracht. Also die wusste auch, wer zu wem gehört zum Beispiel in ihrer Gruppe.
Und die hatte auch ein zeitliches Gefühl? Also die wusste, wann das gemacht werden muss?
Ja, also die Tiere haben immer ein sehr, sehr gutes zeitliches Gefühl. Das merkt man, wenn man mit denen unterwegs ist draußen. Also manchmal fragt man sich, ob die eine Ruhe dabei haben, weil diese Ruhe, das ist schon mal so, jetzt geht man los und alle wissen das. Jetzt ist die Zeit, um loszugehen. Und jetzt macht man dies und das. Ich denke, die werden sicherlich auch so den Sonnenstand irgendwie mitverarbeiten, ohne dass sie das jetzt explizit wissen. Aber die haben ihre Signale und die nehmen sie auf und dann wissen sie so, jetzt ist Zeit zum Schlafplatz zu gehen oder in dem Fall von der Ziegenhirtin, jetzt wird es Zeit, wieder nach Hause zu reiten und die Ziegen einzusammeln. Und bei Jack war das so. Interessant, der wurde ja richtig trainiert, die Signale zu verstehen. Und er wusste, wenn wir zweimal pfeifen, dann muss die Weiche nach links gestellt werden. Also das ist jetzt an sich nicht so kompliziert, das kann man dressieren. Aber er hat es dann eben selbstständig und mit einer hohen Qualität gemacht.
Und Ihr Forschungsbereich sind die Paviane. Haben die ein ganz besonders ausgeprägtes Sozialverhalten oder warum ausgerechnet Paviane?
Es gibt verschiedene Arten von Pavianen in Afrika und auf der arabischen Halbinsel und die unterscheiden sich in ihrer Gesellschaftsform, aber auch in ihrer Aggressivität. Und deswegen sind die interessant als Modelle, um herauszufinden, wie kommt es denn dazu, dass die einen sehr despotisch sind, sehr aggressiv und die anderen eher tolerant und friedliebend.
Ist es artenmäßig unterschiedlich eigentlich?
Also die unterscheiden sich eben sehr extrem. Also viele Leute aus Europa oder aus Deutschland, die kennen vielleicht die südafrikanischen Paviane. Das sind die sogenannten Bärenpaviane. Das sind richtige Hooligans. Die sind sehr, sehr aggressiv. Die dringen ja auch in Häuser ein und klauen und gehen auch gegeneinander vor. Und da haben die Menschen eine extrem steile Ranghierarchie. Und die Weibchen halten sich sehr an ihre Verwandten, weil man sich eigentlich auch sonst niemand verlassen kann. Und umgekehrt ist es so, dass die Tiere, die wir jetzt beobachten, also mit meinem Team, wir haben eine Feldstation im Senegal und da gibt es Guinea-Paviane und die sind genau am anderen Ende. Da sind die Menschen miteinander befreundet und zwar ein leben lang. Also das sind jetzt Freundschaften, die können wir jetzt über zehn Jahre verfolgen. Die fangen im Kindergarten an sozusagen und die weiblichen Tiere wandern aus. Das heißt, da sind dann die weiblichen Verwandten auch nicht so wahnsinnig wichtig. Und es gibt keine richtige Rang-Hierarchie eben und das ist also alles anders. Und dann ist es natürlich wirklich spannend, sich anzugucken, wie kommt denn das? Also ich persönlich finde natürlich die Guinea-Paviane, die sehen nicht nur besser aus, sondern sie sind auch viel freundlicher und angenehmer. Aber ich habe auch anderthalb Jahre lang diese Bären-Paviane in Botswana untersucht und das war natürlich auch spannend.
Diese Fähigkeit, Signale und auch abzielen und so weiter zu können, das ist schon was, was Paviane besonders ausmacht.
Wir trainieren gerade eine Gruppe von Guinea-Pavianen im Nürnberger Zoo, auch an Intelligenztests teilzunehmen. Und was man dort ganz interessant sieht, ist, man muss lernen zu lernen. Also auch Affen müssen lernen zu lernen. Am Anfang verstehen die ganz vieles nicht, ganz simple Sachen. Und wenn man die dann mit Schimpansen im Vergleich dieser 20 Jahren Intelligenztests macht, dann sehen die tatsächlich etwas blöd aus. Aber... Aber man muss sich eben klarmachen, die Schimpansen machen das seit 20 Jahren. Die kennen sozusagen jeden Trick. Die haben ganz viel über das Testen an und für sich gelernt. Und deswegen muss man immer ganz vorsichtig sein, welche Schlüsse man zieht. Und ich glaube, dass unsere Pavianen, wenn wir die jetzt 20 Jahre getestet haben, dann werden die den Schimpansen schon sehr nahe kommen. Also das ist auch das, was wir natürlich mit Menschen machen. Wenn wir die im Kindergarten tun oder in die Schule tun, dann lernen die zu lernen. Das ist ein ganz wichtiger Teil auch unserer Sozialisation.
Nur eine Frage zu dem Intelligenztest. Was wird denn da getestet? Also auch Kommunikation?
Also jetzt Kommunikation haben wir im Moment nicht im Vordergrund stehen, sondern jetzt geht es gerade um ein Projekt zu Neugier eigentlich. Das ist eine große vergleichende Studie, die ist auch mit Kindern gemacht worden und mit Schimpansen. Und dann geht es darum, wenn die sich für etwas entschieden haben, wollen die dann wissen, wie es ausgegangen wäre, wenn sie sich für das andere entschieden hätten. Und das kennt man vielleicht manchmal beim Kartenspielen oder sowas ähnliches. Man spielt Mau Mau und denkt, ja, aber wenn ich jetzt noch eine Karte bekommen hätte, dann hätte ich vielleicht gewonnen. Dann guckt man vielleicht nochmal unter den Stapel. Was wäre da jetzt gekommen? Es gibt sowas ähnliches, aber wir sind noch nicht so weit. Also das geht alles schrittweise. Das macht eine ganz tolle Doktorandin bei uns, die Judith Stoller. Die hat die Paviane überhaupt erstmal dazu gebracht, dass sie sich da hinsetzen und dass sie sich das alles genau angucken und aufpassen. Und dann schauen wir mal, was da am Ende rauskommt. Aber was ich noch sagen kann, übrigens zu den Bindungen, also unsere Paviane im Freiland, bei denen ist es so, dass Einzelne auch finden, dass wir zu ihnen gehören, also die Bürohafter. Und dann wird man auch mal begrüßt. Also man kommt zur Gruppe und dann läuft ein Männchen an einem vorbei und macht so das sind so deren Begrüßungslaute. Ja.
Das kenne ich auch morgens aus der Redaktion, ja. Kurzes mhm.
Die haben schon ein Bindungsgefühl, wenn man so will. Und ich kann mir vorstellen, dass ich das zwischen Jack, der hatte ja sonst keine Gruppe, und diesem Bahnwärter, dem Herrn White, eben auch so entwickelt hat, dass das, das war sein Kumpel. Und dann hat man eben, dann macht man, dann arbeitet man zusammen. Und insofern kann ich, denke ich schon, es muss eine Motivation gewesen sein, nicht nur einfach einfache Belohnung, sondern ich mache hier... Ich mache ja meinen Job. Und mit Jack hatte er eben offensichtlich einen Pavian, der gelehrig war und motiviert war und bereit war, den Menschen als seinen Sozialpartner zu betrachten.
Sagt Prof. Dr. Julia Fischer im Gespräch mit Ferdi Deja. Die Geschichte zwischen Jack und James geht aber weiter. Musik
Doch nicht alle sind von dem arbeitenden Affen begeistert. Als Beschwerden eintreffen, schickt die Eisenbahngesellschaft einen Aufseher zu dem speziellen Duo, um sie zu feuern. Doch als er Jack bei der Arbeit sieht, ist er von den Fähigkeiten des Pavians begeistert. Er schreibt Folgendes. Jack kennt das Signalraum genauso gut wie ich und auch jeden der Hebeln. Es war sehr berührend zu sehen, wie sehr er an seinem Herrn hing. Als ich näher kam, saßen die beiden auf dem Wagen. Der Pavian hatte seine Arme um den Hals seines Herrn gelegt. Die andere Hand streichelte Whites Gesicht. Infolgedessen wird Jack von der Eisenbahngesellschaft angestellt, bekommt eine Personalnummer und wird sogar bezahlt. Neun Jahre bis zu Jacks Tod arbeitet das Dream Team zusammen. In seiner Amtszeit soll der zahme Pavian nie einen Fehler gemacht haben. Er ist bis heute der einzige Affe, der offiziell für die Eisenbahn gearbeitet hat.
Signalman Jack, ja, der Affe bekam tatsächlich diesen offiziellen Titel, ist eine Geschichte über Überleben, Kreativität und Kameradschaft in einer Welt im Wandel. Ein Eisenbahngestellter, der Neues probiert, um weitermachen zu können, der einen Affen als Helfer und Freund gewinnt und am Ende sogar die Eisenbahngesellschaft von seinem ungewöhnlichen Weg überzeugt. Daher ist diese Geschichte für mich mehr als nur eine kuriose Anekdote aus der Vergangenheit. Sie zeigt, welche Lösungen Menschen in schwierigen Situationen finden und dass immer mehr möglich war, als es gesellschaftliche Normen zulassen. Wir sollten also keine Angst haben, auch heute neue und unerprobte Wege einzuschlagen. Und damit sind wir auch am Ende der heutigen Folge angekommen. Ich hoffe, dass euch diese Geschichte genauso gefällt wie mir und freue mich, wenn ihr wieder zuhört. Bis zum nächsten Mal. Tschüss und Baba
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